Zum dritten Mal in Folge lud der Verein „Zwei Raben: Literatur in Oberhessen“ in Kooperation mit dem Universitätsmuseum Marburg am 28. November 2024 zu einem Bilder-Dialog ein. Nach Iris Woff (2022) und Norbert Hummelt (2023) las Andreas Schäfer seinen im Rahmen des Autorenstipendiums im Otto Ubbelohde-Haus entstandenen Text vor 100 Besucher*innen vor. Das Autorengespräch im Kunstmuseum führte Christoph Schäfer, Frankfurter Literaturkritiker und Juror im Auswahlverfahren für das Autorenstipendium.
Andreas Schäfer ist Journalist, Theaterkritiker und Schriftsteller. In seinen Romanen „umkreist er mit feiner Genauigkeit und immer zunehmender literarischen Virtuosität das Thema Familie, und findet dabei ganz unterschiedliche Zugänge. Familie ist ihm wahlweise Tatort, Identitätsmarker oder Erinnerungsaufgabe“ – so die Begründung der Jury. Sein erstes Theaterstück „Beyond – Wie das Licht entsteht“ wird 2025 im Schauspiel Erlangen aufgeführt.
„Pappelmacht. Ein Alphabet aus dem Lahntal“ heißt der Goßfeldener Text von Andreas Schäfer. Das Publikum konnte beim Lauschen verfolgen, wie eine individuelle mentale Karte entsteht: Einzelne Stationen auf den Wegen des Stipendiaten durch Goßfelden und seine Umgebung prägten sich stärker ein als andere, einige (Stimmungs)Bilder, Beobachtungen und Vorstellungen hinterließen eine tiefere Spur als andere und fanden deshalb neben scheinbar flüchtigen Begegnungen mit Menschen einen Platz in dieser Textur. Und immer wieder die bewusst wahrgenommene Landschaft, die gegenwärtige und zugleich die aus den Gemälden Otto Ubbelohdes. Und das Atelierhaus als Mittelpunkt der Karte.
In dem Titel ist unschwer eine Anspielung auf den berühmten Baumpachtvertrag, Pappelpacht, von Ubbelohde zu erkennen, mit dem der Maler die Zeit anhalten und die Landschaft (die er selbst mitgestaltet hatte) vor der Vernichtung schützen wollte. Dem Kampf des Malers um seine Motive gilt der Buchstabe „C wie Conventionalstrafe“.
Wie aus Worten Realität entstehen kann, wird eindrücklich in der Passage „F wie Falke“ dargestellt: Ein bis ins kleinste Detail beschriebener Falke sitzt auf dem Manuskript des Romans, an dem der Schriftsteller gerade arbeitet, und lässt sich von ihm betrachten. Wie konnte er ins Zimmer gelangen - das Fenster war zu?
In dem anschließenden Gespräch mit Christoph Schröder sprach der Autor über freundliche Aufnahme durch die Goßfeldener Dorfgemeinschaft, darüber, dass er sich aufgehoben und heimisch in der Landschaft gefühlt hat. Er habe nur eine einzige Veränderung in der Wohnung im Atelierhaus vorgenommen und den Schreibtisch weg von der Wand ans Fenster verschoben, um als jemand, der vormittags schreibt, Licht und Raum vor dem Fenster zu haben. Auf Nachfrage gab der Autor Auskunft über seinen nächsten Roman, der in London spielt und als ein Kammerspiel zwischen zwei Personen, zwei Künstlerpersönlichkeiten konzipiert ist.
Andreas Schäfer las am Ende eine Passage aus seinem bekannten Vaterbuch „Die Schuhe meines Vaters“ vor und sprach mit Christoph Schröder über literarische Spurensuche, autobiographisches Schreiben und genaue Beobachtung. Der Vater, so Christoph Schröder, sei keine klar umrissene Figur, es entstehe kein Porträt. Für Andreas Schäfer war wichtig, sich auf das Dazwischen zu konzentrieren, auf ein Hologramm einer Beziehung. Genauigkeit generiere Distanz zu sich selbst, was für Generation, die nie sicher sein kann über die Erzählungen aus der Zeit, ein Gebot sei – so der Autor.
Zum Schluss konnte sich das Publikum den „Vatertext“ vom Autor signieren lassen.
Ein erfüllender und inspirierender Abend.
Gabriela Ociepa
Foto (c) Dieter Wagner