Ein Dienstagabend in den Ferien und wunderschönes Sommerwetter: Der 10. Stipendiat des Literaturvereins, Franzobel, lockt mit seiner Lesung aus seinem letzten Roman „Einsteins Hirn“ trotzdem 65 Besucher in die Kirche von Goßfelden. Auf die Frage, wie es ihm gehe hier in Oberhessen, antwortet Franzobel gutgelaunt: Ausgesprochen wohl fühle er sich in der „ländlichen Idylle“.
Es ist dies bereits die dritte Veranstaltung von „Zwei Raben“ in der evangelischen Kirche, wie die Pfarrerin Sandra Niemann bei der Begrüßung hervorhebt.
Die Vereinsvorsitzende und Moderatorin Erika Schellenberger stellt den Autor als einen preisgekrönten Welt- und Zeitreisenden vor, der sich mit „Die Entdeckung Amerikas“ eine Entdeckungsreise im 16. Jahrhundert vornahm, seine Leser mit dem „Floß der Medusa“ ins frühe 19. Jahrhundert versetzte und mit „Einsteins Hirn“ ein Sittengemälde der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zeichnete. Er schaffe es, einen mit seiner Literatur ins Geschehen zu ziehen.
Bevor Franzobel aus „Einsteins Hirn“ liest, erläutert er den wahren Kern des Romans: Der Physik-Nobelpreisträger Albert Einstein stirbt 1955, seine Asche wird an einem unbekannten Ort verstreut. Vorher hat der Pathologe Thomas Harvey jedoch Einsteins Hirn entnommen, um es zu sezieren und den Sitz der Genialität zu entdecken. Später reist Harvey 42 Jahre lang damit durch Amerika, und irgendwann beginnt das Hirn mit ihm zu sprechen. Sogar auf Schwyzerdeutsch, gerade als der Pathologe das Hirn in eine Andacht der Quäkergemeinde mitnimmt. Franzobel liest diesen Abschnitt aus seinem Roman vor, und man merkt, dass der Autor auch Erfahrung mit Bühnenstücken hat, und die Informationsdichte mit performativen Momenten kombiniert.
Auf die Frage, was ihm mehr liege, Theaterstücke oder Romane zu schreiben, erfahren die Zuhörer, dass es zwei ganz unterschiedliche Arten des Schreibens sind: Bei einem Theaterstück sind es viele Faktoren, die den Erfolg bedingen, bis hin zum Bühnenbild. Einen Roman zu schreiben sei wesentlich zeitaufwendiger und erfordere genaue Recherche.
Erika Schellenberger weist im Gespräch mit dem Autor auf den Humor als wichtiges Stilmittel in seinem Roman hin. Manchmal entzünde Franzobel geradezu ein Feuerwerk an Pointen, fast wie im Kabarett. Er liebe Eulenspiegeleien.
Die Moderatorin spricht das neue Romanprojekt an, wo es wieder um ein Abenteuer am Ende des 19.Jahrhunderts geht, die Grönlandexpedition des amerikanischen Polarforschers Robert E. Peary. Mit einem Auszug aus dem Manuskript hatte sich Franzobel um das Stipendium bei „Zwei Raben“ beworben, und er liest zum Abschluss daraus vor.
Diese abwechslungsreiche und sehr unterhaltsame Veranstaltung fand großen Anklang beim Publikum, man konnte immer wieder schmunzelnde Gäste beobachten, die sich bei Franzobel und Erika Schellenberger mit herzlichem Applaus bedankten.
Am Büchertisch der Buchhandlung Jakobi konnte man Romane des Autors kaufen und sie sich signieren lassen. Viele Besucher genossen anschließend den schönen Sommerabend auf dem Kirchhof bei einem Imbiss und Getränken, bereitgestellt vom Gartenteam des Otto Ubbelohde-Hauses.
Else Funke