Literatur im Ubbelohde-Haus

Neue Reihe: Rabenbetrachtungen - Notizen aus dem Ubbelohde-Huas


Sie sammeln seltene Pilze am Feldrand, baden Ende September noch in der Lahn, zeichnen abendlang japanische Teeschalen und arbeiten sehr zurückgezogen an ihren persönlichen Literaturprojekten. Die für jeweils drei Monate in das "Literaturhaus unterwegs: Autorenresidenz im Otto Ubbelohde-Haus" eingeladenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller lassen dem Verein Zwei Raben: Literatur in Oberhessen immer noch etwas Besonderes da, bevor sie wieder in die Metropole Berlin oder Frankfurt zurückkehren: Einen neuen Text, der durch den Aufenthalt am Künstlerort mit seinem unvergleichlichen Ausblick auf Kuhwiesen, Pappeln und Weiden angeregt wurde und sich literarisch mit dem Werk des Malers Otto Ubbelohde, dem Atelierhaus und seiner Landschaft befasst. Eine schöne Abmachung mit den Autorinnen und Autoren.

Erika Schellenberger, Gabriela Ociepa (Hg): Rabenbetrachtungen - Notizen aus dem Ubbelohde-Haus. Mit Beiträgen von Marion Poschmann, Christoph Peters, Marcus Braun und einem Nachwort von Thomas Hettche. Verlag Wunderhorn, Heidelberg, 48 Seiten, Klappenbrochur, EUR 18,00 (D), 18,50 (A)

Sandra Burkhardt: Aus: Hört in ausgestreuten Reimen (AT)


Aus: Hört in ausgestreuten Reimen (AT)

Ich liege quasi noch im Kraut, glaubt mir.
Ich schlage die Augen auf und die
Jahreszeit der leichten Bekleidung
raubt mir den Verstand. Ich singe:
Ach, was bin ich! Was war ich,
dass mein Pfeil nur die Wade traf!
Nur eine Bohne bin ich zu ihren Füßen.
Doch wer hat jemals von der Geburt
eines echten Mannes gehört?
Singend lindert sich das Lied,
doch trotz guter Absicht nähert sich ihr
mein Stift auch jetzt nicht. Was ist?
Ach nichts. Das Lied verwandelt dich:
Während der Zeit des ersten Zeitalters
war ich ein Lorbeer. Was ich tat,
als ich zum ersten Mal meine Haare
diese Welle machen sah, wo ich doch auf eine
Krone gehofft hatte, und die Füße, in denen ich steckte,
zu zwei Wurzeln wurden, die Arme zu Ästen:
Ich raschelte. Niemals zuvor schwieg meine Sprache.
Ich wusste weder, was es war, als ich es fand,
noch wo, doch als ich ankam, wo ich mir entzogen,
sprach ich im Klang des Schwans.
Während der Zeit des zweiten Zeitalters
schwamm ich am Ufer umher umher,
wollte reden, sang aber immer nur um Hilfe.
Einst hatte ich in sanften Tönen
verliebte Blicke erklingen lassen,
doch was war zu hören? Iiiiüüüh, Iiiiüüüh -
Kaum mehr, als diese Lady über mich zu sagen hätte.
Sie sprach zu mir: Sprich nicht davon,
von deiner Rede bleibt eh nur Überrest.
Als ob ich das nicht wüsste! Aber ich war
ein Sprichbrunnen und fand kein Ende.
Ach, lass mich doch ein Stein sein.
Während der Zeit des dritten Zeitalters
weinte ich, rollte, wenn ich mich bewegte,
stolperte und fiel. Da war sie wieder.
Ich starrte, weil die Sicht mich nicht befriedigte,
bis sie mich so ans Blickfeld gerichtet ansah,
dass es mich Kieselchen schüttelt. Ich rief:
Heb mich auf! Entsteine mich,
und wenn es mich meinen Un-Stein kostet!
Doch die Stimme war mir untersagt und so
schrie ich in Papier: Ich bin nicht meins, nein.
Es stimmt, Lied, dass ich mich dem eignen Bild entzogen
in eine undeutliche Spalte verwandeln spürte.
Mehr Dinge werden gedacht als noch
tausend Stifte nicht müde werden zu berichten,
doch auch das steht bereits andernorts.
Schweigend trennt sich der Dichter von seiner Hand

Das Gedicht entstammt aus einem längeren Zyklus und dem aktuellen Buchprojekt, an dem Sandra Burkhardt arbeitet. Es trägt den Arbeitstitel "Hört in ausgestreuten Reimen" und handelt sich dabei um "Übersetzungen" und Aneignungen von Gedichten aus Francesco Petrarcas Canzoniere.